Stipendien

Regensburger Domspatzen bei den Bayreuther Festspielen
Von Emil Kerzdörfer

Seit mehr als 40 Jahren unterstützen die Richard Wagner Verbände Bayreuth und Regensburg junge, begabte Sänger des Domchores durch die Gewährung von Stipendien für die Bayreuther Festspiele. Ein Blick in das Archiv der Bayreuther Stipendienstiftung hat eine erstaunlich große Zahl von Namen ans Licht gebracht, die die Dramen Richard Wagners im Bayreuther Festspielhaus kennen und schätzen lernten (siehe tabellarische Übersicht).

Wie wurde und wird man Stipendiat, warum kamen so viele junge Sänger der Domspatzen in den Genuss eines Stipendiums? Dazu vorab ein kurzer historischer Rückblick, wie die Richard Wagner Stipendienstiftung entstand und welche Ziele sie bis heute verfolgt.

Die Richard Wagner Stipendienstiftung hat für viele Betrachter etwas vom Image einer liebenswerten, altehrwürdigen Dame, die alljährlich an einige junge Leute mit mütterlichem Wohlwollen kostenlose Eintrittskarten und Reisezuschüsse zum Besuch der Bayreuther Festspiele verteilt: einer Dame, die selber aber im Hintergrund bleibt, so vornehm und bescheiden, dass die Öffentlichkeit kaum von ihr Notiz nimmt und dass selbst viele Festspielbesucher keine Ahnung von ihrem Dasein haben.
Die Stipendienstiftung bekommt aber ein ganz anderes Gesicht und Gewicht, wenn man weiß, dass sie von Richard Wagner selbst ins Leben gerufen wurde – und dass sie einem dringenden Wunsch aus seinem letzten Lebensjahr entstammt.

Warum war Richard Wagner an dieser Stipendienstiftung so viel gelegen?
Diese Frage hängt auf engste mit seiner Festspielidee zusammen – mit ihrem Anspruch wie mit ihrem teilweisen Scheitern; denn was Wagner vorschwebte, war ja mehr als das, was sich heute auf dem Hügel alljährlich vollzieht. Da steht ein Theater, das den Werken Richard Wagners vorbehalten ist; ein Theater, das wegen seiner Akustik berühmt ist und an dessen Inszenierungen besonders hohe künstlerische Ansprüche gestellt werden: Magnet für eine Elite von Sängern und Musikern, eine Werkstatt, die Impulse ausstrahlt und Diskussionen entfacht; ein Theater, das alljährlich viele Tausende von Musikfreunden aus aller Welt zu den Festspielen versammelt und in seinen Bann zieht. Aber was Wagner eigentlich wollte, war in mancher Hinsicht etwas anderes – und es war mehr: es war eine kühne Utopie.

Wovon er träumte, das waren Volksfestspiele, ähnlich wie sie mehr als zweitausend Jahre zuvor in Griechenland stattgefunden hatten.
Diese Idee wollte Wagner gleichsam wiederbeleben. So ist auch der amphitheatralisch ansteigende Zuschauerraum im Festspielhaus keine bloße Architektenlaune. Er ist zugleich ein symbolischer Brückenschlag zum griechischen Theater – und mehr noch als das; ähnlich ein Gegenstück zum Theater pompöser Fürstenlogen: Mit den Unterschieden der Ränge sollten die Unterschiede des Ranges verschwinden.

Wie im alten Griechenland jeder Bürger die Tragödienspiele unentgeltlich besuchen konnte und wie der Staat dort für die Kosten aufkam, so sollte auch in Bayreuth die Nation eine Art nationaler Festspiele ermöglichen, sollten die Aufführungen im Festspielhaus jedem, der es wollte, frei dargeboten werden. Schon 1849 hatte Wagner in seiner Schrift `Die Kunst und die Revolution´ den kostenlosen Zutritt des Publikums zu den Theatern gefordert; und als König Ludwig II. für Richard Wagner in München ein Festtheater bauen wollte, dachte dieser sich die Besucher als Gäste des Königs.

Noch während der Errichtung des Festspielhauses in Bayreuth hoffte Richard Wagner, die Festspiele durch die Herausgabe von Patronatsscheinen finanzieren und auf Eintrittsgelder überhaupt verzichten zu können. Sein Bayreuther Werk sollte auf diese Weise geschaffen werden: frei zugänglich für alle, die ernstlich daran teilhaben wollten. Eine `stolze´ Idee, wie er selbst bekannte, aber auch eine Utopie, wie er bald einsehen mußte.

Man könnte meinen, die Zeit nach der Reichsgründung hätte aufgeschlossen sein müssen für Wagners Bestreben, der Nation ihr künstlerisches Eigengesicht zu geben, sie hätte offene Ohren haben müssen für Wagners Idee nationaler Festspiele.

Aber allzu massiv waren die Anfeindungen und das Mißtrauen, denen sein Werk und seine Person ausgesetzt waren. Ãœberdies witterten Staatsmänner wie Bismarck vermutlich, dass Wagners nationales Verständnis schwerlich mit dem ihren vereinbar war.

Ein unverdächtiger Zeuge, nämlich Thomas Mann, hat es ausgesprochen, als er von der `künstlerischen Unschuld Wagners´ sprach: `Es ist unerlaubt, Wagners nationalistischen Gesten und Anreden – wie etwa in den `Meistersingern´ durch Hans Sachsens Mund – den heutigen Sinn zu unterlegen … Das heißt sie verfälschen und ihre romantische Reinheit beflecken´. Und Thomas Mann fährt fort: `Gerade die Schlußansprache des Hans Sachs beweise `die vollendete Geistigkeit und Politikfremdheit des Wagnerschen Nationalismus´.

Ein nationales Selbstverständnis auf die Kunst zu begründen – nicht auf die Macht: dies war der Kern des Konzeptes der Volksfestspiele, wie Wagner sie erträumte. Als der Kaiser willens war, wenigstens 30.000 Taler aus dem Reichsfond leihweise zur Verfügung zu stellen, wurden sie von Bismarck gestrichen. Die Festspiele waren ihm – mit Bedacht gesagt – keinen Schuß Pulver wert. Wagner blieb auf Mittel angewiesen, die durch den Verkauf von Patronatsscheinen aufgebracht werden sollten. Als zwei Drittel der zur Finanzierung benötigten Scheine keine Abnehmer fanden, mußte die Mehrzahl der Plätze dann doch an ein `zahlendes Publikum´ verkauft werden. Damit war die Festspielidee an einem Nerv getroffen. Der Fluch des Goldes, von dem die Ring-Tetralogie handelt, hatte auch Bayreuth eingeholt.

Zwar wurden die Festspiele 1876 ein `Ruhmestempel des deutschen Idealismus´ genannt; doch hinter den Kulissen sah es anders aus. Wagner war bitter enttäuscht. Ein Jahr danach, noch unter der Last eines riesigen Defizits, das er persönlich zu tragen hatte, unternahm er einen neuen Versuch, um von seinem Traum zu retten, was zu retten war:

In einem Aufruf an die Wagner-Vereine forderte er nunmehr die Gründung eines Patronatsvereins, der es ermöglichen sollte, auf Kartenverkauf zu verzichten. Vom Reichstag erhoffte er sich einen jährlichen Zuschuß von 100.000 Mark. Dafür sollten Plätze erworben und als Freiplätze `von Reichswegen´ an Unbemittelte, namentlich Jüngere, Strebsame und Bildungslustige vergeben werden.

Auch dieser Vorstoß zur Rettung seiner Lieblingsidee schlug fehl. Wagner hatte sich endgültig damit abzufinden, dass reguläre Eintrittskarten ausgegeben werden mussten. Wie schwer es ihm jedoch fiel, völlig zu resignieren, wie viel ihm daran lag, sein Konzept des freien Zutritts wenigstens teilweise zu verwirklichen – das beweist schließlich ein letzter Versuch, den er unternahm.

Am 28. Mai 1882 richtete er an einen Verehrer in Worms, Friedrich von Schoen, einen Brief, der seltsam berührt. Die Aufführungen des `Parsifal´ müssen wohl, so schreibt Wagner, `da es einmal nicht anders auszuführen war, weiter für das zahlende Publikum bestimmt bleiben.´ Und er fährt fort:

`Sehr jedoch in meinem Sinne wäre es, wenn Sie, werther Freund … eine Stiftung in das Leben riefen, welche Unbemittelten es ermöglichte, den Aufführungen beizuwohnen.´ Damit würden Sie `in gewissem Sinne meinen allerersten Gedanken erfüllen.´
Dieser Brief bedeutete die Geburt der Richard Wagner Stipendienstiftung. Nach dem finanziellen Debakel der ersten Bayreuther Festspiele 1876 trug Schoen als einziger mit einer großen Spende zur Abdeckung des Defizits bei. Wagner dankte ihm damals: ´Ich war in dem Wahn, es könne in Deutschland dreihundert Männer geben wie Sie. Vorläufig sind Sie der Einzige.´

Im Sommer 1882 kam Friedrich von Schoen nach Bayreuth, wo die von ihm inzwischen ausgearbeitete Satzung der Stiftung gebilligt wurde – und auch der Name, den Schoen ihr gab:

`Richard Wagner Stipendienstiftung.´ In einem Brief schreibt Wagner: `Am meisten Gutes erwarte ich mir von der Stipendienstiftung . Sie wird die eigentliche Wohltäterin sein, und mit allen Kräften werde ich sie unterstützen.´


Stipendiaten 2003 bei den Bayreuther Festspielen am „Stipendiatenabend“ im Hotel Arvena mit dem RWV-Vorsitzenden Emil Kerzdörfer

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